Vor 97 Jahren – am 30. September 1914 – schrieb ein Soldat aus Anstel den folgenden Brief an seine Familie. Der Brief ist in der Ansteler Schulchronik, Band 1 als Zeitdokument erhalten geblieben.

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Frankreich, den 30 September 1914.
Lieber Schwager und Schwester.
Wir liegen hier zur Belagerung der großen und
schönen Festung Verdun. Wir haben die Franzosen in den
Kreis der Festung zurückgeworfen und liegen jetzt in
den Schützengräben 20 klm von der Festung, sodaß die
Franzosen uns mit ihren Geschützen nicht erreichen kön-
nen. In dem Festungskreise befinden sich Franzosen,
Engländer und Zuaven, welche jeden Tag durchzubre-
chen versuchen, welches ihnen aber nicht gelingt. Hier ist
es des Nachts sehr kalt, wir decken uns mit den
Sternen. Wir bekommen von der Feldküche gutes Es-
sen, mehr Fleisch wie Suppe. Nur an Brot mangelt
es uns. Es sieht hier in der Gegend fürchterlich aus.
Das Vieh läuft herrenlos umher. Man sieht hier hau-
fenweise Tote liegen, nur mit etwas Erde
bedeckt sind. Wir kamen an einer Stelle vorbei,
wo wir uns die Nasen zu halten mußten, wegen
dem üblen Geruch. In einem Massengrabe la-
gen 500 Franzosen. Dieselben waren von unsern
Maschinengewehren hinweggemäht worden. Weizen,
Hafer und Kartoffeln stehen hier noch im Felde.
Die Einwohner sind alle geflüchtet. Ich glaube,
wenn wir jetzt Verdun haben, dann ist es Schluß mit
Frankreich. Ich habe bis jetzt noch immer Glück
gehabt. Habe noch jedes Gefecht mitgemacht. Unsere
Kompagnie hat 10 % Verwundete und 10 % Tote.
Am Abend des 26. September rückte ein Zug von
70 Mann von unserer Kompagnie 2 Kilometer von
der Schützenlinie nach der Festung zu. Dort liegt ein
hoher Berg mit Waldung. Ein Leutnant führte uns,
wir hatten den Befehl zu kontrolieren was auf dem
Berge war; denn unsere Flieger wurden von dem
Berge aus stets beschossen. Als wir an den Berg anka-
men, ging es ganz steil im Zickzack 25 Minuten den

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schmalen Weg hinauf. Oben angelangt, stand
ein französischer Tambour mit der Trommel 20 Schrit-
te von uns entfernt. Bei unserm Anblick ging er lau-
fen und schrie. Er schlug über die Trommel her. Da
sprangen aus Schützengräben und Sträuchern Fran-
zosen heraus. Die Kugeln pfiffen zu Tausenden
in der Luft herum, sodaß ich dachte, es bleibt
kein Mann mehr übrig! Vor uns waren wenig-
stens 2 Kompagnien mit Maschinengewehren.
Unser Leutnant kommandierte zurück. Sofort zo-
gen die unsrigen sich zurück. Mein Kamerad
Braun aus Rommerskirchen und ich waren auf
dem linken Flügel und konnten nicht herüber-
kommen, da neben uns zwei Tote lagen und
der Flügel furchtbar befeuert wurde. Wir legten
uns hin. Denn die Franzosen hatten uns nicht be-
merkt. Jetzt krochen wir den Berg herunter et-
wa 20 m und legten uns hinter Sträucher. Da
saßen wir, bis alles still war. Dann sind
wir weiter gekrochen noch 5/4 Stunden bis wir
auf die Straße kamen, und es gelang uns am
Morgen wieder zu unserer Kompagnie zu-
rückzukommen. Wenn man so in der Nacht
sitzt, bekommt man doch andere Gedanken.
Wir hatten Gesicht und Hände blutig zerkratzt
von den Dornen. das war eine Nacht, die ich
in meinem Leben nicht vergessen werde. Mein
Kamerad Adam Pütz ist Sonntag Morgen
leicht verwundet worden, einen Schuß durch
das Bein. Er hat Glück gehabt, daß seine Ka-
meraden ihn mitgenommen haben. Sonst wä-
re er den Franzosen in die Hände gefallen.
Diese schlagen die Verwundeten von uns tot.
Mehr kann ich heute nicht schreiben. Ich bin
noch gesund und munter, welches ich auch von
Euch hoffe.
Heute, nach zwei schrecklichen Weltkriegen wird man diese Zeilen sehr nachdenklich lesen. – Was aus dem Schreiber geworden ist, ist unbekannt.